"Keine Ahnung, was ich hier soll“, dachte sich Fabian. Am Balkon unter ihm brannte noch immer kein Licht, es war kalt, der Wind wurde auch nicht weniger und die Dunkelgrauen Wolken im sonst gräulich-schwarzen Himmel verhießen auch nicht gerade einen gemütlichen, lauen Frühlingsabend. Konnte er den aufwallenden Regen nicht sogar schon riechen? Von der Straße unten drangen spärlich die Gesprächsfetzen der Spätinachteulen zu ihm herauf. Hier und da brüllte einer der ewig verwirrten Straßenkatzen die Stimmen in ihrem Kopf an, sie sollte sich schleichen. Fabian musste grinsen. Wer hätte gedacht, dass Berliner Wohnugslose im wiener Dialekt brabbeln und musste sich das Grinsen gleich wieder schuldbewusst verkneifen, weil's ja eigentlich nicht lustig ist. Also die Schidzophrenie, das wienerische ist schon lustig. „Langsam wird’s kalt“ erneuerte Fabian seine Zweifel, heute noch ein Lebenszeichen von den Maiers zu erhalten. In der Regel brachten Sie ihre Kinder gegen neun zu Bett und saßen dann mit einem wohl geatmeten Merlot auf dem Balkon, von wo aus sie ihre hohen Nasen über das gesamte Viertel rümpften. Ach was, über die gesamte Stadt, über einfach alle Menschen, die ein Banksy nicht von einem OZ unterscheiden konnten. Und die in ihrem Leben noch nie mehr Spaß als 65 Dezibel hatten. Warum die sich so mit Streetart auskannten war Fabian ein Rätsel. Irgendwo in der Ferne ging eine Sirene, gefolgt von einer Hupe, gefolgt von einer Sturmböe. Na klar, das war der Wind, welcher den Regen im Schlepptau führend eine Warnung aussandte. Wenn sie nicht bald auftauchen würden, musste er wohl oder übel seinen Racheplan für heute ad acta legen. „Schade“, dachte Fabian, es war zwar kindisch gewesen, sich auf dem Dach zu verstecken und zu warten bis das langweiligste Paar seit Erfindung von Adam und Eva nach draußen traten und er ihnen dann endlich mal seine Meinung geigen konnte, doch ein bisschen Albernheit musste mensch sich schon bewahren, sagte er immer: „sonst werden wir alle irgendwann solch snobistische RucolaRentner:innen“. Von unten hoch hörte er plötzlich ein ein paar Autotüren knallen. Konnte es denn sein? Vorsichtig robbte er sich an den Dachfirst vor und spähte über die Regenrinne abwärts. Tatsächlich, da stand die blechgewordene Peinlichkeit eines Panzers mit Merzedesstern. Natürlich fuhren sie so einen putzig-protzigen SUV, mit dem man auch in der Wüste noch Kamele auseinandertreiben konnte. Da spürte er die ersten Tropfen Regen auf der Schulter. Jetzt war es Zeit Nägel mit Köpfen zu machen. Keine Zeit mehr zu warten, bis sie oben waren und die verzogenen Bälger darnieder gebettet hatten. Fabian griff nach hinten und schnappte sich den ersten Ballon aus dem Rucksack. Von hier oben war zwar die Streuung größer, als wenn er direkt über ihren Köpfen stehen würde aber was soll's, so ist die Sauerei größer. Groß zielen war nicht möglich, einfach fallen lassen und gucken was passiert. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. War das vielleicht gefährlich, so aus dem sechsten Stock? Dafür war es nun zu spät, denn schon war ihm der Ballon aus den Fingern geglitten. War wohl doch mehr als ein erster Regentropfen gewesen. Schön sah das aus, ein seltsam erhabenes Gefühl, dieser Farbbombe beim entfalten zuzugucken. Innerhalb von 3 Sekunden war der Flug vorbei und das Pinke Überfallkommando klatschte mit bombastischer Wonne auf dem Autodach ein. Was für ein Volltreffer. Frau Maier stand während des Einschlags neben dem Wagen und schimpfte durch heruntergelassene Fenster auf die Kinder ein. Fabian nahm sich nicht die Zeit seinem Erfolg beizuwohnen, sondern griff rasch nach hinten und schleuderte die zweite Bombe hinterher. Er war sich nämlich sicher, Herr Maier war inzwischen ausgestiegen, um seine Frau und den Schaden zu begutachten und die Täter:in ausfindig zu machen. Fabian ließ den dritten Ballon entgleiten eilte mitsamt Rucksack zur Dachluke zurück. Die Geräuschkulisse verhieß ein grandiosen Erfolg. Leise lächelnd begab er sich pfeifend in seine Wohnung zurück.
Text: Justus Spannaus
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